Abstammungsentscheidungen aus der Ukraine
Trotz Krieges nutzen deutsche verschiedengeschlechtliche Ehepaare weiterhin die Ukraine, um sich ihren Kinderwunsch mit Hilfe einer Leihmutter zu erfüllen. Das dortige Recht sieht in Art. 123 Familiengesetzbuch (FGB) vor, dass bei der Nutzung von reproduktionsmedizinischen Maßnahmen, also assistierten Fortpflanzungstechnologien, das (Kinderwunsch-)Ehepaar rechtlich zu Eltern eines von einer Leihmutter geborenen Kindes wird. Voraussetzung für diese Elternschaft ist, dass der Ehemann seinen Samen zur künstlichen Befruchtung mit einer nicht von der Leihmutter stammenden Eizelle zur Verfügung gestellt hat. Die Ehefrau wird nach Art. 123 FGB unabhängig eines genetischen Zeugungsbeitrages zur rechtlichen Elternstelle (Mutter).
Die Geburt eines Kindes wird gemäß Art. 2 des Gesetzes über die staatliche Registrierung von Standesamtsakten registriert. Die Geburt eines Kindes stellt ein Ereignis dar, welches untrennbar mit dem Kind als natürlicher Person verbunden ist. Zuständig für die Registrierung ist das Standesamt (Art. 3 des Gesetzes über die staatliche Registrierung von Standesamtsakten). Die Registrierung selbst wird durch eine Standesamtseintragung umgesetzt. Bei einer solchen Standesamtseintragung handelt es sich um ein Dokument über persönliche Informationen der betreffenden Person. Für die Registrierung sind Erklärungen der Eltern (oder eines Elternteils) am Geburtsort erforderlich. Die Erklärungen können auch auf elektronischem Wege abgegeben werden.
Neben diesen Erklärungen müssen Dokumente, unter anderem eine ärztliche Geburtsbescheinigung, übermittelt werden. Fehlt es an einer solchen Bescheinigung der Geburtsklinik über die Tatsache der Geburt, muss eine besondere standesamtliche Urkunde beantragt und ausgestellt werden, die ersatzweise für die fehlende Bescheinigung der Tatsache der Geburt Grundlage für eine staatliche Registrierung ist (Art. 13 Gesetz über die staatliche Registrierung von Standesamtsakten).
Die für die Registrierung erforderlichen Dokumente werden in einem besonderen Regelwerk benannt. Es handelt sich um die Regeln der staatlichen Registrierung von Standesamtsakten, welche durch die Verordnung des Justizministeriums der Ukraine Nr. 3307/5 vom 24.12.2010 genehmigt wurden. Gemäß S. 1 Dritter Abschnitt 1 dieser Regeln ist für die Registrierung unter anderem die Vorlage einer ärztlichen Geburtsurkunde erforderlich. Wird sie nicht vorgelegt, muss ein Gericht zunächst die Tatsache der Geburt feststellen. Erst daraufhin kann eine entsprechende Urkunde des Standesamtes ausgestellt und die Registrierung umgesetzt werden.
Wird die Hilfe einer Leihmutter in Anspruch genommen, wird der Registrierungsantrag von dem Wunscheltern-Ehepaar gestellt. Neben der ärztlichen Geburtsurkunde ist für die Registrierung die Erklärung der Leihmutter erforderlich, wonach sie der Eintragung der Ehegatten als Kindeseltern zustimmt. Diese Erklärung ist in notarieller Form einzureichen. Darüber hinaus muss der Nachweis einer genetischen Abstammung vom Kindesvater eingereicht werden.
Die für die Registrierung erforderliche Geburtsurkunde basiert insoweit immer auf den dargelegten Erklärungen und Dokumenten. Wird sie ausgestellt, erfolgt die anschließende Registrierung im staatlichen Register. Hierfür ist rechtliche Grundlage Abs. 11 Kap. 1 Abschnitt III der Regeln der staatlichen Registrierung von Standesamtsakten in der Ukraine. Registriert wird dabei auch, dass die Eltern das Kind durch eine Leihmutter austragen ließen und die Eintragung auf den Regeln über assistierte Reproduktionstechnologien basiert.
Sind die entsprechenden elternschaftlichen Zuordnungen in dieser Weise registriert, besteht nach herrschender Meinung keine weitergehende Möglichkeit, die Tatsache eines Verwandtschaftsverhältnisses gesondert gerichtlich feststellen zu lassen. Es gibt allerdings einige Normen in der Zivilprozessordnung der Ukraine, die dafür Sonderverfahren vorsehen, beispielsweise Art. 293, 294 und 315 ZPO (UKR). Einem Sonderverfahren müssen allerdings regelmäßig beide Elternteile zustimmen.
Die Frage, ob ein ukrainisches Gericht trotz Vorliegens einer ordnungsgemäßen Registrierung auf Grundlage einer Geburtsurkunde eine Elternschaft im Sonderverfahren noch feststellen kann, ist umstritten. In Bezug auf Georgien wurde eine solche Legitimation in Ermangelung eines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses von georgischen Gerichten abgelehnt, der Versuch, aufgrund der Entscheidungsgründe dennoch eine Anerkennung der Elternschaft in Deutschland zu erreichen, scheiterte vor dem Oberlandesgericht Celle (OLG Celle NZFam 2023, 784).
In der Ukraine gibt es, u. a. auf Grundlage von eingereichten Rechtsgutachten in Bezug auf andere nationale Rechte, seit vielen Jahren Elternschaft bestätigende erstinstanzliche Entscheidungen von Stadt- und Bezirksgerichten. Auf Antrag der, auch deutschen, Wunscheltern werden die dorthin übermittelten Dokumente in einem ordnungsgemäßen Verfahren geprüft und einer Sachentscheidung zugeführt. Neben den Prüfungen von notariellen Erklärungen der Leihmutter, genetischen Abstammungsgutachten, Geburtsurkunden, -bescheinigungen usw. orientieren sich die Gerichte erster Instanz unter anderem an Art. 293 ZPO (UKR) und führen die Feststellung der beantragten Elternschaft als sogenanntes Sonderverfahren, da es sich um eine juristisch bedeutsame Angelegenheit handelt. Die Gerichte verweisen dazu u. a. auf Art. 496 ZPO (UKR): Danach haben Ausländer das Recht, sich an ukrainische Gerichte zu wenden, um ihre Rechte und Interessen zu schützen. Sie stehen gleichberechtigt natürlichen Personen der Ukraine gegenüber.
Bei Verwendung reproduktionsmedizinischer Technologien gelten die Wunscheltern gemäß Art. 122 FGB als Eltern, gemäß Art. 133 FGB ist der Ehemann Vater und die Ehefrau Mutter des von der Leihmutter zur Welt gebrachten Kindes. Das besondere Feststellungsinteresse wird von den erstinstanzlichen Gerichten unter Hinweis auf die abweichenden Folgen im deutschen Recht, wonach nicht die Wunschmutter, sondern die Leihmutter zur rechtlichen Mutter des Kindes wird, begründet. Dies sei dem Kindeswohl nicht dienlich. Gem. Art. 2, 3 UN-Kinderrechtskonvention, die auch in der Ukraine ratifiziert wurde (Beschluss vom Werchowna Rada Nr. 789-XII vom 27.02.1991), dürfe es keine Diskriminierung von Kindern geben, und zwar unabhängig von Geschlecht, Rasse, Hautfarbe etc. Bei allen Maßnahmen stehe das Wohl des Kindes im Vordergrund. Zwar habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in dem Verfahren Mennesson und Labassee (EGMR Nr. 65192/11 und 65941/11) den Mitgliedstaaten die europarechtlich nicht zu beanstandende Kompetenz zugesprochen, Leihmutterschaft zu verbieten. Auf der anderen Seite seien Mitgliedstaaten, die ein solches Verbot installieren, verpflichtet, Verwandtschaftsbeziehungen anzuerkennen, die auf Grundlage einer im Ausland legal durchgeführten Leihmutterschaft entstehen. Andernfalls seien die Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK verletzt. In diesem Sinne bestehe ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis auch für deutsche Wunscheltern, ihren Status als Eltern in der Ukraine gerichtlich feststellen zu lassen. Dies gelte umso mehr, als der BGH die Anerkennung einer Registrierung auf Grundlage einer Geburtsurkunde nicht akzeptiert habe (BGH NJW 2019, 1608).
Im Verfahren des EGMR in der Sache Mennesson und Labassee (a.a.O.) wurde herausgestellt, dass es den nationalen Rechten obliege, die Art und Weise der Legalisierung von im Ausland erlangten Elternschaften zu regeln. Die Möglichkeit, Elternschaft mittels Adoption zu erlangen, sei, wenn diese tatsächlich möglich ist, allerdings ausreichend. Eine grundlegende Verpflichtung, Elternschaft nach Leihmutterschaft unmittelbar anzuerkennen, bestehe aus europäischer Rechtssicht nicht.
Die Wahl der Mittel, im Ausland erlangte Elternschaft ins nationale Recht zu implementieren, fällt damit in die Beurteilungsspielräume der Mitgliedstaaten. Der EGMR weist allerdings darauf hin, dass die Eltern-Kind-Beziehung spätestens zu einem Zeitpunkt installiert werden müsse, in dem sich diese Beziehung konkret darstellt. Die Statusbeziehung soll dann insoweit wirksam eingerichtet werden können, was bei Adoptionen grundsätzlich der Fall sein kann, aber nicht unbedingt der Fall sein muss. Wichtig, hierauf legt der EGMR wert, ist eine rasche Entscheidung und Zuordnung. In Bezug auf das deutsche Recht kann bei einer Stiefkindadoption, die regelmäßig beantragt werden muss, wenn keine ausländische anerkennungsfähige Entscheidung (einschl. einer Registrierung) vorliegt, nicht von einer raschen Umsetzung gesprochen werden. Die Verfahren dauern regelmäßig zwei Jahre und länger (z. B. AG Neumarkt – 003 F 499/22; AG Reinbek – 20 F 14/21; AG München – 52721 F 1965/22).
Das Berufungsgericht in Kiew musste kürzlich über ein Verfahren entscheiden, in welchem zunächst die Elternschaft eines verheirateten deutschen Paares nach Leihmutterschaft durch Geburtsurkunde und Registrierung im Sinne des ukrainischen Rechts installiert wurde (Berufungsgericht Kiew, Beschluss vom 17.01.2024, Verfahrens Nr. 22-z/824/4711/2024, einheitliche einmalige Sachnummer 761/21494/22). Die Vaterschaft wurde mit Zustimmung der Leihmutter, Art. 19 Abs. 1 EGBGB i.V.m. §§ 1592 Nr. 2, 1594 BGB, anerkannt. Nach Rückreise in die Bundesrepublik trennten sich die Wunscheltern, das Kind wurde vom Vater in dessen neuen Haushalt mitgenommen. Dieser ging eine neue Beziehung ein. Eine Stiefkindadoption, die zunächst geplant war, lehnte er ab. Als rechtlicher und genetischer Vater stand der Wunschmutter nunmehr nur die Möglichkeit zu, vor dem ukrainischen Stadt- und Bezirksgericht zu beantragen, die Elternschaft nach der durchgeführten Leihmutterschaft in der Ukraine festzustellen. In diesem Verfahren wurde der Kindesvater allerdings nicht ordnungsgemäß beteiligt. Gleichwohl entschied das Gericht erster Instanz antragsgemäß. Nach Zustellung der Entscheidung legte der Kindesvater Berufung ein. Das Berufungsgericht prüfte den Sachverhalt nebst der einschlägigen Rechtslage und kam zu dem Ergebnis, dass in diesem Fall eine Feststellung der Elternschaft nicht erfolgen könne. Es hob die erstinstanzliche Entscheidung auf und gab der Berufung des Kindesvaters statt. Die Wunschmutter, ob genetische Mutter oder nicht, spielte keine Rolle, ist damit nicht in der Lage, Mutter ihres Kindes zu werden.
Das Berufungsgericht begründete die Entscheidung unter anderem mit der insuffizienten verfahrensrechtlichen Beteiligung des Kindesvaters in der ersten Instanz. Ihm seien Anträge sowie Benachrichtigungen über die Eröffnung und Führung des Verfahrens nicht übermittelt worden. Die Feststellung seiner Elternschaft sei, dies folge aus seiner Berufungsbegründung, i. Ü. nicht von ihm gewünscht. Er habe sich von der Wunschmutter getrennt. Er sei nicht daran interessiert, die aus dem Recht der Ukraine möglicherweise bestehende gemeinsame Elternschaft in Deutschland zu legalisieren. Er sei rechtlicher Vater, die Wunschmutter sei nicht rechtliche Mutter. Eine Feststellung der gemeinsamen Elternschaft komme daher aus besonderem Rechtsschutzbedürfnis der deutschen Wunscheltern für ihn nicht in Betracht, zumal er einen Feststellungsantrag selbst nicht gestellt habe oder unterstütze. Das Berufungsgericht führte ergänzend auch aus, dass die besondere Feststellung der Elternschaft in einem Sonderverfahren immer dann nicht möglich sei, wenn bereits eine ordnungsgemäße Registrierung auf Grundlage der ukrainischen Rechtsordnung erfolgte. Für ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis bestehe dann kein Raum mehr.
Inwieweit diese Entscheidung Signalwirkung auf andere erstinstanzliche Entscheidungen haben wird, bleibt abzuwarten. In ersten Entscheidungen des Jahres 2024 wurden jedoch im Nachgang der Berufungsentscheidung unsererseits keinerlei Veränderungen in der Praxis erstinstanzlicher Feststellungsurteile festgestellt. Es dürfte sich also um eine Einzelfallentscheidung handeln, die im Besonderen wegen der Trennung der Wunscheltern zur Aufhebung des erstinstanzlichen Feststellungsurteils geführt hat.
Es ist nach der Berufungsentscheidung aber umso wichtiger, bei einer geplanten ins deutsche Recht mittels Anerkennung zu implementierender Abstammungsentscheidung klug zu argumentieren und v. a. die negativen Folgen für das Kind herauszustellen. Dr. Oldenburger erstellt dazu besondere Rechtsgutachten, die in den ukrainischen Feststellungsverfahren verwendet werden (können). Seit Jahren führt er auch erfolgreich Anerkennungsverfahren in Deutschland auf Grundlage ausländischer Statusentscheidungen. Näheres zu Anerkennungsverfahren finden Sie HIER (link: Ausländische Entscheidung).
Gelingt es nicht, eine ausländische Elternschaftsentscheidung zu erhalten, oder scheitert einmal die Anerkennung, bleibt nur der Weg über die Stiefkindadoption. Auch auf diesem Weg berät und vertritt Dr. Oldenburger Paare seit vielen Jahren. Hintergründe, Abläufe und Tipps zur Stiefkindadoption finden Sie HIER.